Mythos um antarktische Nazi-ZufluchtSpiegel-Online.de Von Stefan Schmitt Von der Reichskanzlei in die Antarktis? Polarforscher sezieren den Mythos um "Neuschwabenland" und "Neuberchtesgaden", die angebliche Eisfestung der Nazis. Linke Paranoiker und Neonazis haben eine Mär um U-Boote, Ufos und Atombomben gestrickt - und um einen kleinen, wahren Kern. Hitlers Helfer sollen Ende der dreißiger Jahre einen eisfreien Zufluchtsort im Königin-Maud-Land, östlich der Wedell-See, ausgekundschaftet haben, behaupten strammrechte Verschwörungstheoretiker. Bis Kriegsende hätte ein Geheimkommando dort geräumige Höhlen ausgehoben, einen autarken Außenposten errichtet und Vorräte eingebunkert. Nach Kriegsende soll das Versteck dann - je nach Version der Mär - versprengten Rest-Nazis, einer Clique um Martin Bormann, Eva Braun und Hitler selbst, oder wenigstens der Urne mit der Asche des Diktators Zuflucht geboten haben. Bis heute geistert diese Mär durch Zeitungen, Web und die populärwissenschaftliche Literatur. Jetzt hat ein Polarforscher "Hitlers Antarktis-Basis" (so der Titel) unter die Lupe genommen. Der angesehenen Fachzeitschrift "Polar Record" war die Forschungsarbeit immerhin 21 Seiten in ihrer Januar-Ausgabe wert. "Haben U-530 und U-977 die Antarktis besucht?", fragen Colin Summerhayes und sein kanadischer Co-Autor Peter Beeching darin, und: "Wurden Atombomben über der Antarktis gezündet?" Beides behaupten Verschwörungstheoretiker seit Jahrzehnten. "Extrem unsolide Auffassung über die Antarktis selbst" Die Besatzung der Eisfestung hätte im Winter 1945 britischen Spezialkräften, im Südsommer 1946-1947 gar US-amerikanischen Soldaten Paroli geboten. Erst 1958 sei "Neuberchtesgaden" mittels dreier US-Atombomben zerstört worden. Die extremsten Verfechter der Verschwörungstheorie behaupten indes, auch danach hätten die Eisnazis noch überdauert - ausgerüstet mit Ufo-Technologie. Nichts davon stimmt. "Es hat echt Spaß gemacht, mit dieser Geschichte zu arbeiten", sagte Polarforscher Summerhayes zu SPIEGEL ONLINE. Diese Theorien hätten auf einer "extrem unsoliden Auffassung über die Antarktis selbst" basiert. "Wir dachten einfach, dass einmal jemand aufschreiben sollte, wie die tatsächliche Situation aussah - und warum es nicht anders gewesen sein kann." Doch sollte solcher Unfug überhaupt Gegenstand von Forschung sein? "Geben Sie einmal 'Nazis' und 'Antarktis' bei Google ein", entgegnete Summerhayes. Tatsächlich sprechen die ersten der über 800.000 Treffer für sich. "Die Geschichte scheint auch in Russland ziemlich populär zu sein und kommt ab und zu in der Zeitung 'Prawda' vor." Auch dem Historiker Holger Meding von der Universität Köln ist sie geläufig, hauptsächlich aus dem angelsächsischen Raum. "Aber mir fallen auch aus dem spanischsprachigen Raum aus den letzten Monaten fünf oder sechs Bücher ein, die diese Mythen aufwärmen", sagt Meding zu SPIEGEL ONLINE. Er ist ein Experte für die Geschichte Lateinamerikas und vertraut mit den Details der Immigration Deutscher nach Südamerika - auch alter Nazis. Neonazis und linke Paranoiker spinnen am Mythos "Die Berichte über eine Antarktis-Basis kommen aus ganz unterschiedlichen politischen Ecken", sagt Meding. "Die ersten waren eher links, also gegen die Nazis." Im Nachkriegs-Argentinien sei das auch Kritik an der rechten Regierung von Staatschef Peron gewesen, dem man unterstellt habe, obskure Nazi-Verschwörungen zu unterstützen.
Er sieht den Ursprung der "historisch ziemlich haltlosen" Legende von der Antarktis-Festung in dem Buch "Hitler está vivo" (Hitler lebt), das der Exil-Ungar Ladiszlav Szabó 1947 in Buenos Aires veröffentlichte. Er berichtete darin von "Hitlers neuem Berchtesgaden in der Antarktis" - der Keim aller Eisfestungstheorien bis heute. "Das Buch hatte aber auch ein paar Aufhänger", sagt Meding, "und die waren keineswegs Mumpitz." "Es gibt ein kleines Körnchen Wahrheit in all diesen Geschichten", schreiben auch Summerhayes und Beeching, die Mythos und Realität trennen:
Walfang, nicht Weltherrschaft Immerhin, Legenden-Liebhaber könnten fragen, ob es nicht wenigstens Pläne für eine Eisfestung gegeben haben könnte. Schließlich waren die Machthaber des Dritten Reichs um aberwitzige Ideen selten verlegen. Und tatsächlich gab es eine deutsche Expedition zum Südkontinent. Einem frühen Flugzeugträger gleich schipperte das Schiff "Schwabenland" im Winter 1938/1939 mit den Dornier-Flugbooten "Boreas" und "Passat" an Bord am Rand des Eisschelfs vorbei. Den Aufnäher der Expeditionsteilnehmer ziert eine Hakenkreuzflagge und der Schriftzug "Neuschwabenland" - just an jener Küste, wo Königin-Maud-Land liegt. Polarhistorikerin Lüdecke hat schon vor drei Jahren unter dem Titel "In geheimer Mission" eine Forschungsarbeit über die Fahrt der "Schwabenland" veröffentlich. In der Zeitschrift "Schifffahrtsarchiv" des Deutschen Schifffahrtsmuseum (2004, S. 75) berichtete sie, dass sich das Deutsche Reich Ende der dreißiger Jahre tatsächlich territorial am Südkontinent festsetzen wollte - allerdings bloß zur Sicherung des Walfangs. Denn die Briten hatten dieses Geschäft in den dreißiger Jahren im Großteil des Atlantiks fest im Griff. Das Deutsche Reich sorgte sich um den Nachschub an Walfett und Tran. Daraus wurde eine unverzichtbare Zutat für den Sprengstoff Nitroglycerin gewonnen. Der wahre Kern der Legende von der Eisfestung hat also durchaus eine militär-ökonomische Motivation, wenngleich eine denkbar triviale. Mit den bizarren Vorstellungen von "Neuberchtesgaden" kann das natürlich nicht mithalten. "Ob unser Artikel diese Legenden aufhalten wird? Eher nicht", glaubt Polarfoscher Summerhayes. "Einen wahrhaft Überzeugten schreckt so schnell nichts ab."
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